Zürcher Geldgeschichte
Die Geldgeschichte von Zürich ist von lokalen wie internationalen Geschehnissen geprägt. Auf heimischer Ebene z. B. ist sie mehrere Jahrhunderte lang eng mit den Geschicken des Zürcher Fraumünsterstifts verwoben. Doch die Reformation, das Aufkommen von Manufakturen, der Dreissigjährige Krieg, die Französische Revolution und weitere historische Ereignisse haben ebenfalls ihre Spuren in der hiesigen Geldgeschichte hinterlassen. Diese DVD spürt ihnen nach.
Zürich – schweizerische Wirtschafts- und Handelsmetropole von internationalem Rang, Sitz von unzähligen Banken. Täglich werden hier Milliardenbeträge an der Börse umgesetzt. Und Geschäftsleute aus aller Herren Länder geben sich die Klinke in die Hand. Denn in Zürich ist die Schweiz kosmopolitisch. Auch Wissenschaft und Politik kommen nicht zu kurz. Mit etwas Glück trifft man auf der Strasse sogar Nobelpreisträger und Bundesräte. Und nicht zuletzt ist Zürich auch Kulturstadt. Das breite Spektrum reicht dabei vom gepflegten Opernhaus bis hin zum alternativen Kleinsttheater. Kurz: Zürich pulsiert! Oder um es auf Französisch zu sagen: «Zurich, c?est une grande ville dans un mouchoir.»
Wie kommt die Limmatstadt zu diesem Renommee? Liegt?s an der zentralen Lage am blauen See oder ganz einfach an der guten Luft? Wie Zürich wurde, was es heute ist, erfahren Sie hier.
GRÜNDUNG DES KLOSTERS FRAUMÜNSTER
Wir schreiben den 21. Juli im Jahr 853. Es ist drückend heiss. Alles scheint ruhig im Ostfränkischen Reich. Alles? Nein, in der königlichen Kanzlei in Regensburg riecht es nach Siegellack. Eine Feder kratzt übers Pergament. Mit der schwungvollen Unterschrift von König Ludwig dem Deutschen werden Schicksal und Zukunft des Dorfes Turegum besiegelt.
Zürich, bis zu diesem Augenblick hauptsächlich ein Wallfahrtsort, gehört mit einem Federstrich Hildegard, seiner Tochter. Zudem ist Ludwig ein beneidenswert grosszügiger Vater: Sämtliche königlichen Güter in Turegum – d. h. Ländereien und Gebäude - wechseln die Hand. Damit die geliebte Tochter nicht darben muss, erhält sie obendrein auch noch den Wald zwischen Zürich und Horgen – und den ganzen heutigen Kanton Uri dazu.
Solche Geschenke macht auch ein König nicht alle Tage. Doch Ludwig weiss, was er von seiner fähigsten Tochter will: Eine geistliche Frauengemeinschaft soll sie in Turegum aufbauen. Und daneben gefälligst auch die ihr so grosszügig überlassenen Güter verwalten und mehren! Hildegard hat die ihr gestellte Aufgabe mit Bravour gemeistert. Auf jeden Fall kündet das Fraumünster noch heute – unübersehbar und stolz – von den Taten der umtriebigen Frau. Einen kleinen, feinen Stift für die Damen des Hochadels hat Hildegard damals gegründet. Die gebildeten Damen legen schon bald eine Bibliothek an. Das Fraumünster wird zum Hort des Wissens – das geistige und kulturelle Herzen Zürichs.
Kultur und geistige Nahrung im Mittelalter in Ehren – aber bis zum Bau der Börse ist es noch ein weiter Weg. Noch ist Zürich keine Wirtschaftsmetropole. Wie also steht’s mit dem Wirtschaftsgebaren der geschäftigen Stiftsdamen? Nun, der gute Ludwig hat es seinerzeit nicht für nötig befunden, der Frau Tochter im Dorfe Turegum das Münzrecht zu verleihen. Das ist keineswegs Zeichen von Knauserigkeit und mangelndem Vertrauen. Nein, Zürich ist Mitte des 9. Jahrhunderts als Marktort und Wirtschaftsfaktor einfach zu unbedeutend, als dass es eigene Münzen bräuchte.
HERIMANNVS Herman I. von Schwaben
Der Erste, der in Zürich im Auftrag des deutschen Königs Münzen prägt, ist Herzog Hermann von Schwaben. Von ihm ist bekannt, dass er im Jahr 929 in Zürich weilt. Möglicherweise hat er diesen Aufenthalt dazu benutzt, Denare wie den hier gezeigten prägen zu lassen. Dem Fraumünster-Stift wird der Herzog mit Sicherheit einen Besuch abgestattet haben. Falls er nicht freiwillig hingegangen ist, dürfte ihn seine Gattin Reginlinda «sanft» dazu überredet haben. Reginlinda ist wie so manche edle Dame des Hochadels nicht nur eine unermüdliche Förderin der Fraumünster-Abtei, sondern in personam und ganz konkret bis zu ihrem Tod 958 Herrin des Fraumünsters.
FRAUMÜNSTER, MÜNZ-, MARKT- UND ZOLLRECHT
Das Jahr 1045 – das zweite wichtige Datum auf Zürichs Weg zur Wirtschafts- und Handelsmetropole: Heinrich III., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, besucht seine Pfalz auf dem Zürcher Lindenhof.
Dem Salier scheint es in der Limmatstadt ausnehmend gut zu gefallen, denn aus seiner Kaiserzeit sind sechs Besuche verzeichnet. Bei seinem Antrittsbesuch im Jahr 1045 zeigt sich der Kaiser generös und verleiht der Fraumünster-Abtei ein paar hoch begehrte Privilegien: Das Fraumünster hat nun das Recht, Münzen zu schlagen.
Damit einher geht auch das Recht, einen Markt abzuhalten und Zölle einzufordern. Und als ob damit dem edlen Frauenstift nicht schon genug Ehre erwiesen worden wäre, erhebt Kaiser Heinrich die Äbtissin auch noch in den Stand der Reichsfürstin.
Münz-, Markt- und Zollrecht sind für das Wirtschaftswachstum wichtig, sind sie doch die Cash-Cows des Mittelalters. Denn «wer das Münzrecht hat, kassiert den Schlagsatz» und «wer das Marktrecht hat, kassiert die Zölle».
Mit Kaiser Hermanns grosszügigem Geschenk an das Fraumünster im Jahr 1045 wird die Äbtissin de jure und de facto Herrin von Zürich. Nun ist sie nicht mehr nur geistliche Herrin. Nein, jetzt ist sie auch Inhaberin der politischen und wirtschaftlichen Macht, ist Stadtherrin und Herrscherin.
Unvorhereingenommene Besucherinnen und Besucher der schönen Limmatstadt fragen sich da natürlich, wie es denn die Herren Zünfter auch heute noch auf die Reihe kriegen, die «Gesellschaft zu Fraumünster» vom jährlichen Sechseläuten-Umzug auszuschliessen. Zumal der Umzug ja erst 1818 erstmals stattgefunden hat
Einem ersten wirtschaftlichen Höhepunkt geht Zürich unter den Stauferkaisern entgegen. Die Macht der Stadtherrin, der Äbtissin vom Fraumünster, wächst stetig an. Hat sie im 11. Jahrhundert das Münz-, Zoll- und Marktrecht erhalten, kontrolliert sie 100 Jahre später ein Vielfaches mehr. Vom einträglichen Salzhandel über die Aufsicht über Mühlen, Bäckereien und Märkte bis hin zur niederen Gerichtsbarkeit laufen alle Geschäfte über den Tisch der edlen Stiftsdame.
Was prägen nun Mechtild von Wunneberg und Elisabeth von Wetzikon in ihrer Amtszeit als Äbtissinnen und Münzherrinnen auf die Münzen?
Als fromme Benediktinerinnen natürlich ein Motiv mit religiösem Inhalt, möglichst mit direktem Bezug zur Abtei. Da bietet sich – wie hier im Bild – der Heilige Felix an. Aber auch Regula, die Schwester von Felix, findet Eingang auf den Münzen. Doch wie kommt Zürich zu seinen beiden Heiligen?
WIE KOMMT ZÜRICH ZU SEINEN STADTHEILIGEN?
Felix, Regula, Karl der Grosse, Ludwig der Deutsche und Hildegard - dies sind die Eckpfeiler im mittelalterlichen Zürich und das Substrat, aus dem sich das kleine Dorf Turegum dereinst zum stolzen Zürich mausern wird.
Felix gehört jener legendären thebäischen Legion an, die um 300 n. Chr. in St. Maurice bis auf den letzten Mann niedergemetzelt wird. Grund für das Blutvergiessen: Kaiser Diokletian und sein Mitregent Maximian verlangen von den römischen Legionen, dass sie dem Kaiserkult huldigen. Die Soldaten und Offiziere der thebäischen Legion aber sind Christen und wollen nichts von diesem Kult wissen. Eher sind sie bereit, wie ihr Erlöser den Märtyrertod zu sterben, als ihrem Glauben abzuschwören. Der Offizier Felix erfährt vom bevorstehenden Unheil und flieht mit seiner Schwester Regula nach Zürich.
Doch auch Felix und Regula können der tobenden Christenverfolgung auf die Dauer nicht entgehen. Sie werden gefasst, gefoltert und hingerichtet.
Des christlichen Glaubens wegen gefoltert und hingerichtet worden sind viele. Es reicht jedoch nicht, standhaft und mutig in den Tod zu gehen, um später einmal als Heilige verehrt zu werden. Nein, dazu braucht’s mehr - ein Gotteszeichen. Und genau das geschieht: Als ihnen auf der Wasserinsel in der Limmat die Köpfe vom Leib geschlagen werden, sinken Felix und Regula nicht einfach tot darnieder. Nein, sie heben ihre Köpfe auf, gehen über die kleine Holzbrücke und wandern langsam bergan, bis sie auf einer kleinen Anhöhe tot in sich zusammensinken.
Im Dorfe Turegum hat sich Gott offenbart und ein Zeichen getan: für spätere Christen ein guter Grund, nach Zürich zu pilgern. Über dem Hinrichtungsort wird schon früh die Wasserkirche errichtet, die rasch zum wichtigsten Wallfahrtsort im nördlichen Alpenvorland wird.
Eine hübsche Legende, nicht wahr? Karl der Grosse und sein Enkel Ludwig der Deutsche kennen die wundersame Geschichte ebenfalls und erweisen den beiden Heiligen die Referenz auf ihre eigene Art: Karl soll den Bau des Grossmünsters über den Gräbern der beiden veranlasst haben.Auch Ludwigs Schenkung und Auftrag an Tochter Hildegard hat seine Wurzeln in seiner Verehrung für die beiden Heiligen. Den Hinrichtungsstein, auf dem einst Felix und Regula ihr Leben, nicht aber ihren Glauben gelassen haben, kann man übrigens heute noch in der Krypta der Wasserkirche bestaunen.
Grossmünster, Wasserkirche und Fraumünster - die drei wichtigsten Kirchen Zürichs stehen alle im direkten Zusammenhang mit der Legende um die beiden Heiligen Felix und Regula. Durchs ganze Mittelalter hindurch pilgert man nach Zürich. Dabei kommt selbstverständlich auch das Geschäft nicht zu kurz, denn die Pilger müssen verpflegt und mit Devotionalien versorgt werden. Vor und in der Wasserkirche herrscht stets emsiges Treiben. Sieche schleppen sich zum Brunnen, um vom wundertätigen Wasser zu trinken. Gläubige berühren ehrfurchtsvoll den Hinrichtungsstein. Pilgerpfennige und sonstige Wallfahrtsandenken werden verkauft. Der spätere Konflikt zwischen Wasserkirche und Grossmünster ist vorprogrammiert – doch bis dahin dauert es noch ein Weilchen.
DIE ENTMACHTUNG DES FRAUMÜNSTER-STIFTS
Zürich, Abtei Fraumünster, Elisabeth von Spiegelberg, (Äbtissin 1298-1308), Brakteat / 1300 a.D.
Über Pilgerwesen, Markt und Zölle wacht natürlich die Fraumünster-Äbtissin. Die Fraumünster-Abtei ist auf dem Höhepunkt ihrer Macht und die Herrin von Zürich lässt sich - wie hier im Fall von Elisabeth von Spiegelberg - um 1300 stolz auf den Münzen abbilden. Doch Vorsicht, edle Elisabeth, siehst du die Zeichen der Zeit nicht? Hätte man dies die Reichsfürstin in Zürich gefragt, sie hätte wohl schallend gelacht. Wie sollten denn jene Männer, die sie - die Herrin von Zürich - als Schultheissen, Zoll- und Münzmeister ernennt, dem Stift je gefährlich werden können?
Aber selbst Reichsfürstinnen können sich nicht gegen die Erfordernisse und Tendenzen der Zeit stemmen. Und die Strömung läuft jetzt in eine andere Richtung - dies nicht nur in Zürich, sondern im ganzen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.
1291 a.D.
In jenem Jahr 1291, als die drei Länder Uri, Schwyz und Unterwalden zusammenstehen und ihren Schwur für ein Schutz- und Trutzbündnis in den Rütlihimmel tun, ahnt niemand die Folgen dieses Handelns. Zahllose Schlachten und Siege über die kaiserlichen Heere machen das Urschweizer-Bündnis auch für die umliegenden Gebiete attraktiv. 1351 tritt der Stand Zürich der Eidgenossenschaft als fünfter Bündnispartner bei.
1351 a.D.
Auf den ersten Blick ein kleiner Schritt für Zürich, doch folgenreich für die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Stadt - und der gesamten Eidgenossenschaft.
Ist es nicht prächtig anzuschauen, das Zunfthaus zur Kämbel? Es soll hier stellvertretend für all jene Kaufleute, Händler und Handwerker stehen, deren wirtschaftliches Schalten und Walten 1336 in Bürgermeister Rudolf Bruns Zunftordnung geregelt wird.
Fein und edel muss es bei den Reichen im mittelalterlichen Zürich zugehen, denn Kämbel steht nicht - wie man fälschlicherweise meinen könnte - für Kamel, sondern für Kämel. Ein Kämel ist nichts anderes als eine Angoraziege, und deren Haare sind bekanntlich wunderbar weich und flauschig.
Kämel
Zürichs Textilindustrie hat also Wurzeln, die bis ins Mittelalter reichen.
Wie aber kommt es zu diesem wirtschaftliche Aufschwung im späten Mittelalter? Kreuzzüge und der Mittelmeerhandel mit den arabischen Ländern erweisen sich nicht nur für Oberitalien, sondern für das ganze Deutsche Reich als regelrechte Wirtschaftsmotoren. Und für Zürich und die Eidgenossenschaft erweist sich die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich als segensreich und profitabel.
Zürich, Dicken, ca. 1504 / 1504 a.D.
Handel schafft Wohlstand, und bald schon braucht es grössere, schwerere Silbermünzen, um die Transaktionen bewältigen zu können. Wie in Bern und Sitten prägt man auch in Zürich grosse Silbermünzen nach der neuen italienischen Mode. Allerdings nennt man hierzulande die Stücke nicht Testoni, sondern ihres ungewohnten Gewichtes wegen schlicht Dicken - dicke Münze eben.
Unser Dicken steht aber nicht nur für Wohlstand. Nein, er verbirgt auch zwei für Zürich bedeutsame geschichtliche Aspekte:
MONETA NOVA THURICENSIS / Neues Geld Zürichs
Die Inschrift «MONETA NOVA THURICENSIS» verrät uns, dass jetzt das Münzrecht bei der Stadt ist. In der schleichenden Entmachtung des Fraumünster-Stifts ist damit ein weiterer Schritt getan. Dem hat die Äbtissin, nominell immer noch die Herrin von Zürich, nichts entgegenzusetzen. Es fehlt an Machtmitteln, und auch die personelle Plattform ist zu schmal: Sechs adlige Stiftsdamen reichen eben nicht aus, in einer auf- und vorwärtsstrebenden Stadt das Heft in der Hand zu halten.
Ganz scheinen die Ratsherren dem neuen Zürich-Geld aber noch nicht zu trauen, denn artig setzen sie Felix und Regula auf die Vorderseite der Münzen.
S REGVLA / S(ancta) Regula
S VELIX / S(anctus) Felix
Und Felix und Regula sind nicht nur Zürichs hochverehrte Stadtheilige. Nein, sie zieren seit jeher in just dieser Darstellungsart das Siegel des Fraumünster-Stiftes. Das Münzbild des Dicken ist also nichts anderes ein Legitimationsversuch der Stadt für ihre noch ungewohnte Tätigkeit.
- Zürich, Taler, 1512 / 1512 a.D.
Noch scheint alles ruhig im Alten Zürich. Die Stadt nutzt ihr Münzrecht nach Kräften aus und prägt munter auch die neumodischsten Gross-Silbermünzen, die Guldiner, die später einmal als Taler in die Geschichte eingehen.
Wie man sieht, bleibt man auch im Jahr 1512 auf der Münz-Vorderseite den Stadtheiligen treu. Allerdings scheint inzwischen eine wundersame Vermehrung stattgefunden zu haben: Neben Felix und Regula ist jetzt nämlich auch der imaginäre Heilige Exuperantius - im Volksmund Häxebränz - zu sehen. Den neuen Heiligen verdanken wir einer falsch verstanden Textstelle. Denn exuperantius ist die Steigerungsform des lateinischen Attributes exuperans, welches «herausragend» bedeutet. Lateinunkundige hielten dieses Attribut, das eigentlich Felix und Regula zugedacht war, jedoch für einen Eigennamen. Und schon war ein neuer Heiliger geboren. Dem personifizierten Lesefehler begegnet man übrigens auch heute noch auf den Stempeln der Stadt Zürich.
Zürich scheint sich in seiner Rolle als Münzherrschaft und mächtige Stadt ausnehmend gut zu gefallen: Stolz führt man die Wappen der 14 abhängigen Vogteien auf dem Rückseitenbild des Guldiners auf. Neu und erklärungsbedürftig ist auch der Zusatz «Civitas Imperialis».
- CIVIT IMPERIALIS / Civitas Imperialis
Wozu dieses Aufheben um den Status der freien Reichsstadt? Schliesslich ist Zürich dies bereits seit 1218 und damit direkt dem Deutschen Kaiser unterstellt. Nun, fast scheint es, als ob der Legitimationszwang gegenüber dem Fraumünster-Stift für die Stadt immer noch besteht. Doch dies wird sich bald ändern. Denn schon bald wird sich in Einsiedeln ein Priester auf seinen folgenreichen Weg nach Zürich machen.
DIE REFORMATION / PROTESTANTISMUS
Haben die Zünfter dem einst mächtigen Fraumünster-Stift über Jahrhunderte die Macht langsam aus den Händen gewunden, so versetzt ihm dieser Mann hier den Todesstoss: Es ist Huldrych Zwingli, der wortgewaltige katholische Priester. Mit seinen militanten Predigten tritt er in Zürich die Reformation los und setzt der Stadt mit seinem Protestantismus bis auf den heutigen Tag ihr untrügliches Gepräge auf.
Zwingli – eine faszinierende Kombination von tief gläubigem Christ und Haudegen – geht mit dem zürcherischen Wallfahrtsort – der Wasserkirche und den Stadtheiligen – nicht zimperlich ins Gericht. Die Wasserkirche wird ausgeräumt, die Fresken werden von den Wänden geschlagen, Krypta und Brunnen zugeschüttet. Die letzte Fraumünster-Äbtissin, Katharina von Zimmern, eine Freundin und begeisterte Anhängerin Zwinglis, übergibt der Stadt das Fraumünster zu treuen Händen und heiratet den Söldnerführer Ritter Eberhard von Reischach. Seite an Seite kämpfen Reischach und der streitbare Grossmünster-Pfarrer in der denkwürdigen Schlacht bei Kappel im Jahr 1531. Seite an Seite hauchen die beiden auf dem Schlachtfeld ihr Leben aus.
Zürich, Halbe Goldkrone o. J., 1550-1560 / 1550 a.D.
Mitten in den Anfängen der Reformation erhält die freie Reichsstadt Zürich ein begehrtes Privileg verliehen: das Recht nämlich, Goldmünzen zu prägen. Nichts könnte die wirtschaftliche Bedeutung Zürichs besser illustrieren, als diese Handlung des Deutschen Kaisers. Es mutet fast schon ironisch an, dass Zürich dieses Recht ein Jahr vor Ausbruch der Reformation ausgerechnet von einem glühenden Katholiken, nämlich Karl V., erhält.
Nun, mit den Eidgenossen hat Kaiser Karl immer wieder mal seine liebe Mühe. Oft stehen sie ihm als Söldner im französischen Heer gegenüber. Oft sind die eidgenössischen Reisläufer aber auch im päpstlichen Heer anzutreffen. Karls Reichs-Münzreform von 1551 schliessen sich die eigenwilligen Eidgenossen schon gar nicht erst an. Zwar prägt Zürich auf seinen Goldkronen pflichtschuldig den Reichsadler auf. Aber in Sachen Goldgehalt will man sich vom Kaiser - selbstbewusst, wie man ist - nichts vorschreiben lassen.
Zürichs Damen gelten als ausgesprochen modebewusst, und dies nicht erst seit Einführung des Prix Bolero! Wo also sind die Wurzeln für dieses textile Erbe?
Nun, Kriege bringen nicht nur Elend und Armut, sie beschleunigen auch den Know-how-Transfer - so geschehen in Zürich um 1550. In dieser Zeit ist Zürich die Hochburg des Protestantismus. Wer anderswo seines Glaubens wegen von den Katholiken verfolgt wird, flüchtet hierher. So sind für Zürich die eingewanderten Protestanten aus Locarno, was für die Genfer Banken die Hugenotten. Sie bringen Zürich mit ihrem Tuchgewerbe einen beachtlichen wirtschaftlichen Aufschwung, besonders in Sachen Baumwolle. Denn im Gegensatz zu anderen Textilbereichen wird die Baumwollindustrie in Zürich nicht von den Zünften geregelt, sondern kann frei betrieben werden. Eine willkommene wirtschaftliche Nische für Neuzuzüger und Frauen, die sich und ihren Familien mit der Tuchweberei und dem zünftisch ebenfalls nicht geregelten Bleichen ein Einkommen schaffen.
WOHLSTAND DURCH MANUFAKTUREN
Auf Zürichs Märkten zirkulieren im 16. Jahrhundert nicht nur zürcherische Münzen. Nein, da wechseln Münzen der übrigen Stände der Eidgenossenschaft, Reichsgeld aus dem deutschen Reich und französische Münzen die Hand. Schwierig ist’s da, den Überblick zu behalten! Doch selbstverständlich haben die Zoll- und Wechselstuben Bewertungslisten, die über die Wertverhältnisse der verschiedenen Geldsorten Auskunft geben. Die Beträge lassen sich zwar einigermassen exakt ausrechnen. Wie aber berappt man die kleinen Wertdifferenzen zwischen den verschiedenen Münzsorten?
Zürich, Heller o. J., 16. Jahrhundert
Genau dafür gibt’s die Scheidemünzen - in Zürich den einseitig geprägten Heller oder Haller.
1610 a.D.
Zwinglis Widerstand gegen die Reisläuferei zum Trotz - als Söldnerführer kann man in Zürich um 1610 zu Reichtum und Ansehen kommen. Und auch die erfolgreichen Betreiber der Textil-, vorab der Seidenmanufakturen, klettern die soziale Leiter empor. Hier sehen wir ein Prunkzimmer im alten Seidenhof aus dem Jahr 1610. Dieses Zimmer kann - neben Empfangsräumen der mittelalterlichen Fraumünster-Äbtissinnen und anderen repräsentativen Zimmern aus Zürich - im Schweizerischen Landesmuseum besichtigt werden.
Zürich, Dukat o. J., ca. 1630 / 1630 a.D.
Was während und kurz nach Zwinglis Reformation als Götzendienst verpönt und verschrieen wird, ist schon um 1630 wieder salonfähig: Felix und Regula sind zurück! Als wäre nichts geschehen, prägen die Münzmeister die beiden Heiligen - diesmal ohne Begleiter Häxebränz - auf Zürichs neue Goldmünzen: die Dukaten. Und weil man sich grad so schön auf die Vergangenheit bezieht, holt man flugs auch Karl den Grossen auf die neuen Münzen. Interessanterweise wird Karl - seine Verdienste als erster Deutscher Kaiser sollen ihm hier nicht abgesprochen werden - auf der Legende «SANCTUS CAROLUS»
SANCTVS CAROLVS / Sanctus Carolus
doch tatsächlich zum Heiligen erhoben. Und dies im protestantischen Zürich - der gute Zwingli hätte sich ob diesem Schnitzer wohl im Grabe umgedreht!
DER DREISSIGJÄHRIGE KRIEG UND SEINE FOLGE
1642 a.D.
1642 – noch tobt der Dreissigjährige Krieg und noch ist nicht sicher, ob die Eidgenossenschaft nicht vielleicht doch in den Krieg zwischen Reformierten und Katholiken hineingerissen wird. Es wäre aber falsch, den Bau der Wehranlagen in Zürich allein damit zu erklären.
Die Kriegswirren bringen Flüchtlinge aus dem süddeutschen Raum. Zürich dehnt seine Untertanengebiete aus, die Bevölkerungszahl steigt rapide an. Kurz: Der Platz wird knapp. Und Zürichs Zünfte geben sich mit einem Mal zugeknöpft, nehmen keine neuen Mitglieder mehr auf. Der Status quo soll ein für allemal fixiert werden, und so riegelt sich die stolze Limmatstadt mit ihren Wehranlagen gegen die eigene Landbevölkerung und weiteres Wachstum ab. Dies sind die Vorboten des Ancien Régime und jener Mentalität, die ein Jahrhundert später im Stäfner Handel und mit Hilfe der napoleonischen Truppen gnadenlos vom Tisch gewischt werden soll.
1648 ist das Jahr des Westfälischen Friedens. Nach 30 Jahren Kriegswirren in Europa finden Katholiken und Protestanten endlich einen Modus Vivendi. Auch für die vom Krieg verschonte Eidgenossenschaft ist es ein wichtiges Jahr. Denn jetzt wird der kleine, faktisch schon seit Hunderten von Jahren unabhängige Staatenbund auch vom Heiligen Römischen Reich als eigenständig anerkannt.
So bedeutend diese Unabhängigkeit juristisch sein mag, so wenig ändert sich im täglichen Leben in den eidgenössischen Ständen.
Zürich, Wasertaler, 1660 / 1660 a.D.
Zürichs wichtigster Exportartikel sind auch im Jahre 1660, als unser Taler geprägt wurde, junge, tatendurstige Männer, die sich als Söldner verdingen. Hauptabnehmer ist unverändert Frankreich. Doch so lukrativ dieses Geschäft sein mag, seit Zwinglis Zeiten ist es in Zürich hoch umstritten. Bürgermeister Waser, der diesen Taler prägen lässt, ist hingegen ein Befürworter des Söldner-Abkommens mit Frankreich. Die Krone über dem Zürcher Wappen und die kleine Lilie – das Wappenzeichen der Bourbonen – sorgen schnell dafür, dass die Bevölkerung diese Münze als Waser-Taler und Hochmuts-Taler betitelt.
Es brodelt, zischt und stinkt im Zürich des 18. Jahrhunderts. Nein, für einmal stehen nicht politische Wirren an. Was da so zweifelhaft riecht und lärmt sind die Textilmanufakturen und die so genannten Fabriques wie hier der schöne Florhof. Kaum jemand, der heute in dieser edlen Absteige nächtigt, ist sich bewusst, dass hier um 1710 80 Kämmler im Schweisse ihres Angesichts an 20 Öfen arbeiten, die das Wasser heizen. In der Fabrique im Florhof wird Schafwolle gereinigt und gekämmt. Als die Herren Schinz, die Besitzer des Florhofs, dann auch noch eine Zettelanlage in Betrieb nehmen, gehören sie in Zürichs boomender Textilindustrie definitiv zu den Grossen. Die Nummer drei sind sie, so zumindest lässt es sich aus ihren Zollabgaben für die eingeführte Wolle errechnen.
Zürich, Schanzentaler o. J., ca. 1702–1709 / 1709 a.D.
10'000 in der Stadt und 150'000 auf dem Land Wohnende - so sehen die Zahlenverhältnisse in der Republik Zürich im 18. Jahrhundert aus. Oder mit anderen Worten: Politisch und wirtschaftlich hängen 150'000 Menschen vom Wohlwollen von 10'000 ab. Denn die Stadt bestimmt, was bei ihr auf den Markt kommt, wer in Zürich arbeiten und leben darf. Doch wie lange wird es dem stolzen Zürich gelingen, die eigene Landbevölkerung draussen vor den Stadtmauern zu halten?
Zürich, 10 Dukaten, 1724 / 1724 a.D.
«Am Golde hängt, nach Golde drängt doch alles» - wie gut es der Republik Zürich wirtschaftlich geht, verrät diese 10-Dukatenmünze. Kein anderer eidgenössischer Stand setzt dermassen viele Goldmünzen in Umlauf wie die Limmatstadt. Doppeldukaten oder gar 10-Dukaten sind allerdings nicht einfach Geld. Nein, sie werden meist als noble Geschenke abgegeben, mit denen man beim Empfänger Eindruck schinden und ihn gut stimmen will. Kein Wunder also, dass man für solche Prestigemünzen nur die besten Stempelschneider verpflichtet.
FRANZÖSISCHE REVOLUTION
Einen kleinen, machthungrigen Korsen braucht’s, damit die Eidgenossenschaft und Zürich aus ihrer Erstarrung und Verkalkung erwachen und die Zeichen der sich wandelnden Zeit erkennen.
Wie ein sengendes Buschfeuer überziehen die napoleonischen Soldaten Europa und brechen die alten politischen Strukturen auf. «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit» heisst die hehre Devise. Von der Landbevölkerung der Republik Zürich werden die französischen Truppen 1798 als Befreier gefeiert. Endlich wird die politische und rechtliche Vormachtstellung der Stadt gebrochen. Endlich werden die alten städtischen Privilegien unter dem Brüllen der französischen Kanonen aufgehoben.
1813 a.D.
Mit eiserner Hand zwingt Napoleon der Helvetischen Republik eine zentralistische Struktur auf. Die Münzprägung der Stände wird aufgehoben, eine Einheitswährung nach französischem Bild eingeführt. Doch bald erkennt auch der kleinwüchsige Kaiser, dass so den dickschädligen Eidgenossen nicht beizukommen ist.
Zürich, 40 Batzen (Neutaler), 1813 / 1813 a.D.
Von 1803 an prägen wieder die Stände Münzen, so auch Zürich. Dies hier ist Zürichs letzter Taler. Er stammt aus dem Jahr 1813, also noch aus Napoleons Zeiten. Den Stempel hat der Deutsche Peter Bruckmann geschnitten. Eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Zürich noch 60 Jahre früher eine der europäischen Hochburgen der Gold- und Silberschmiedkunst gewesen ist.
ENTWICKLUNG ZUR WIRTSCHAFTS- UND HANDELSMETROPOLE
«Wissen ist Macht» und wer Wissen verbreitet, wird manchmal selbst unverhofft zum Wirtschaftsmotor. 1843 publiziert die Neue Zürcher Zeitung erstmals die Kurse der Pariser Börse und legt damit den geistigen Grundstein für eine gewinnträchtige Institution, die Zürichs Wirtschaftsleben bis auf den heutigen Tag prägt.
1880 baut Zürich seine erste Börse. Doch schon 50 Jahre später ist das Gebäude zu klein. Von ihrem Standort zeugt heute nur noch die Tramhaltestelle «Börsenstrasse». Eine neue Lokalität muss her. 1930 ist es dann soweit. Während mehr als 60 Jahren wird dieses Gebäude die Börse beherbergen, werden von hier, wie von einem grossen Herzen, Geldströme in die schweizerische Wirtschaft gepumpt. Der Bau der Börse - der logische Abschluss einer Entwicklung, die 853 mit Hildegards königlichem Auftrag ihren Anfang nahm - ist eine wahrhaft bemerkenswerte Erfolgsgeschichte.
Schweizerische Eidgenossenschaft, 5 Franken, 1850 / 1850 a.D.
«One nation, one currency» - seit dem Sieg der Liberalen über die Konservativen im Sonderbundskrieg von 1847 ist die schweizerische Eidgenossenschaft ein Bundesstaat. Und seit 1850 der Franken als schweizerische Landeswährung eingeführt worden ist, zahlt man auch in der blauen Limmatstadt mit «Fränklern»und «Fünflibern». Und das auch jetzt, wo in den Landen ringsherum nur noch der Euro gilt ...