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Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen

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Manesse Bibliothek der Weltliteratur, erschienen 1946

 

Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm haben sich um Deutschland so verdient gemacht, dass man den letzten 1000-Mark Schein mit ihrem Antlitz geschmückt hat. Bekannt sind die beiden unter anderem als „Väter der Germanistik“ und Begründer des „Deutschen Wörterbuchs“. Mindestens ebenso bekannt sind sie aber als Märchenonkel, die uns als „Gebrüder Grimm“ bis heute so viele schöne Geschichten bescheren, auch wenn ihnen dieser Titel erst post mortem angedichtet wird.

 

Ursprünglich werden Volksmärchen nur mündlich überliefert und erst ab dem Mittelalter gesammelt und verschriftlicht, etwa von Charles Perrault in Frankreich. Als die Grimms Anfang des 19. Jh. beginnen, die von ihnen gesammelten Märchen herauszugeben, bekunden sie im  Vorwort ihr Bedauern über einen Rückgang mündlicher Volksbräuche zu Gunsten der immer weiter verbreiteten Schriftsprache. Darum betrachten sie das Zusammentragen volkstümlicher Erzählungen  als eine wichtige Aufgabe zur Bewahrung deutschen Kulturgutes. Die Ironie des Vorhabens, der Mündlichkeit entspringende Volksbräuche erhalten zu wollen, indem man sie verschriftlicht, darf einem nicht entgehen. Auch die Brüder sind unterschiedlicher Meinung. Währen Jacob, vermeintlich wissenschaftlich-korrekt, die „original“ Stoffe unverändert wiedergeben will, vertritt Wilhelm den wesentlich modernen Standpunkt, der auch von der heutigen Literaturwissenschaft geteilt wird, dass es das Märchen „an sich“ nicht gibt, sondern immer nur in der Form, in der es erzählt wird. Wilhelm setzt sich dafür ein, dass die Stoffe von Ausgabe zu Ausgabe kindergerechter werden (Rapunzels Schwangerschaft wird so zensiert) und sichert den Märchen damit anhaltenden kommerziellen Erfolg.

 

Doch das Bemühen Jacobs um Authentizität gilt nicht nur der inhaltlichen, sondern auch der sprachlichen Ausgestaltung. Am Liebsten will man, so heißt es im Vorwort, die Märchen auch nach der Mundart des Volkes erhalten, zum Beispiel auf Plattdeutsch. Mit Bedauern stellt man fest, „dass die niederhessische Mundart in der Nähe von Kassel […] eine unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von Niedersächsischem und Hochdeutschem ist.“ Hier ist, wie es scheint, zumindest einem Grimm der Dialekt nicht mehr „rein“ genug. Diese Rhetorik des (Un-)Reinen und das Bemühen das „Ursprüngliche“ und „Unverfälschte“ zu bewahren entspringt weniger einem neutralen Forschergeist und mehr dem Bestreben einen nationalen Volksgeist zu formen. Zu Beginn des 19. Jh. ist Frankreich sowohl militärisch als auch kulturell ein übermächtiger Nachbar und das Heilige Römische Reich im Zerfall begriffen. In diesem Kontext sei die Absicht der Grimmschen Märchen, so Kulturhistoriker Lothar Bluhm, durchaus „nationalpolitisch und volkspädagogisch“ aufzufassen.

 

Auch hier haben zahlreiche Grimm-Forscher auf die Ironie hingewiesen, dass die Märchen häufig weder aus dem „einfachen Volksmund“ stammen, noch deutschen Ursprungs sind. Die mündlichen Quellen stammen meist aus dem gebildeten Bürgertum, wie etwa von Familienfreunden Clemens Brentanos, und einige der bekanntesten Märchen kommen aus der französischen Sammlung Perraults: Dornröschen, Schneewittchen, Rotkäppchen. Was man ihnen trotz allem lassen muss ist, dass wir es hier mit einer literarischen Gattung zu tun haben, die tatsächlich alle Bevölkerungsschichten erreicht. Grimms Märchen sind populär im eigentlichen Sinne des Wortes, nämlich dass sie viele Menschen lesen und kennen. Man darf wohl annehmen, dass wesentlich mehr deutsche Haushalte Grimms Märchen im Bücherregal stehen haben als einen Gedichtband von Brentano…

Teresa Teklić

 

 

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