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Kurt Tucholsky, Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte. Originalausgabe 1912.

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Das wichtigste Buch von Björn Schöpe

 

Die Bücher, die mich mit der ersten Zeile in eine andere Welt ziehen, kann ich an einer Hand abzählen. Es sind meist Bücher, mit denen ich einen Moment in meinem Leben verbinde. Doch eines der wenigen Bücher, denen das einfach aus sich heraus gelingt, ohne solche Erinnerungen zu bedienen, ist „Rheinsberg“. Und ich finde, jeder braucht so ein Buch.

 

Schon beim ersten Lesen empfand ich Kurt Tucholskys schmales Büchlein als besonders lyrisch, es erschien mir wie ein langes Gedicht, eine Poesie auf die Jugend. Seine sommerliche Unbeschwertheit vermittelt es auch im tiefsten Winter, wenn man es bei einer Tasse Tee liest.

 

Ein Wochenende in der Provinz, im idyllischen Rheinsberg. Das verlebt das Pärchen ganz ungeniert und genießt sein Verliebtsein in vollen Zügen, die burschikos-spitzbübische Claire und ihr gemütlich-schlagfertiger Wolfgang; ihre schnoddrigen Dialoge in einem Deutsch, das bewusst alle Regeln missachtet, die abgebrochenen Dialoge, in denen die Frage nur im Kopf der beiden gesprochen ist, oder keine Antwort erwartet wird. Als eine ältere Dame ihre Missbilligung des unverheirateten Paares zeigt, legt Claire los: „Wölfchen, die meint mir. Konnste ihr nich gefordert gehabt habs? – Söh mal, ich bin doch ’ne Feine, nich wahr? oder glaubssu, ich bin eine Prostitierte? Nei-n. Ich ja nicht. Ich nich. Hä?“ Was kümmert es die beiden? Sie genießen es anzuecken und zu provozieren, scheren sich nicht um Konventionen und Regeln, wenigstens nicht an diesem Wochenende fernab von ihrem großstädtischen Alltag: „,Paß auf, Frauchen, wo ist der Koffer mit dem falschen Geld? Ah da.‘ Der Hausknecht ließ den Mund weit offen stehen, sperrte die Augen auf …“

 

„Rheinsberg“ hat keine dramatische Handlung, es will nicht belehren oder erklären. Es erzählt von einem besonderen Moment in der unbelasteten Beziehung zweier junger Menschen, die sich selbst genug sind. Am schönsten genießt man es mit Tatjana Hauptmanns wundervollen Illustrationen im Stil der Zwanziger.

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