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Was ist Vermögen?

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Alle reden von Geld. Über solches, das man hat, und vor allem über solches, das fehlt. Manche reden auch von Vermögen – von Vermögen, das sie gerne hätten, aber doch nicht haben. Der Philosoph Andreas Urs Sommer entführt Sie um Ihres Vermögens willen in die Labyrinthe des Denkens.

Vermögen heisst zunächst einmal Können. Um es mit den alten Griechen zu sagen: Vermögen ist die Möglichkeit, etwas zu verändern. Wenn einer Sache ein Vermögen innewohnt, bedeutet dies, dass sie selbst anders werden oder etwas anders machen kann. Wenn jemand ein Vermögen hat, folgt daraus allerdings nicht, dass er alles Mögliche werden könnte. Ein Sonnenblumensamen hat ein ganz bestimmtes Vermögen, nämlich einmal eine ausgewachsene Sonnenblume zu werden, hingegen nicht das Vermögen, eine Eiche oder ein Elefant zu werden.

Vermögen ist auf Wachstum, auf Verwirklichung hin angelegt. Das Vermögen des Sonnenblumensamens, eine Sonnenblume zu werden, ist offenkundig ein eingeschränktes Vermögen – nämlich das Vermögen, entweder das Angelegte zu verwirklichen oder gar nichts. Biologisch ist das Vermögen einer befruchteten menschlichen Eizelle nicht viel grösser: Entweder wird ein Mensch daraus oder gar nichts. Jedoch wird dieses menschliche Wesen im Unterschied zur Sonnenblume seinen Lebensweg eines Tages selbst wesentlich mitbestimmen können. Es kann mitentscheiden, was es aus sich machen, was es sein will. Offensichtlich spulen wir als Menschen nicht einfach ein vorgegebenes Programm ab, das uns dazu zwänge, Strassenkehrer, Banker oder Philosophen zu werden.

Beim Sonnenblumensamen eröffnen sich aus dem Vermögen, einmal eine ausgewachsene Sonnenblume zu werden, nur wenige Freiheitsspielräume, vielleicht gar keine. Vor dem Menschen hingegen tut sich, je nach Umständen, ein riesiges Spektrum an Möglichkeiten auf, wie er sein Dasein gestalten könnte. Doch hätte ich ein unbeschränkt grosses Vermögen, alles sein zu können, was es gibt, wäre ich gelähmt. Ich könnte mich nicht mehr entscheiden. Unbeschränkt grosses Vermögen bedeutet also noch nicht, dass ich meine Freiheit verwirklichen kann. Im Gegenteil: Die Fülle der Möglichkeit beeinträchtigt die Freiheit. Anders gesagt: Eine Bedingung von praktizierter Freiheit ist Beschränkung, ist die Beschneidung von Möglichkeiten.

Aber wie steht das mit dem Vermögen auf unseren Sparheften und Aktien-Portfolios, in unseren Eigentumswohnungen und Pensionskassen? Geht es nicht auch dort um Freiheit und Freiheitsbeschränkung, um Möglichkeiten und um die Schwierigkeit, mit Möglichkeiten umzugehen?

 

Vermögen – Möglichkeiten

Der Reiche scheint mit viel mehr Möglichkeiten ausgestattet zu sein als der Arme. Hat er nicht das Vermögen, das es ihm erlaubt, zu tun und zu lassen, was ihm behagt, während dem Armen unzählige Möglichkeiten verschlossen sind, über die der Reiche souverän verfügt? Jedoch macht das Mehr an Möglichkeit die Wahl dessen, was man will, nicht leichter. Die schiere Fülle der Möglichkeiten kann den Reichen ebenso ängstigen wie der Abgrund fehlender Absicherung den Armen. Wer mehr Möglichkeiten hat, läuft eher Gefahr, das Falsche zu wählen und das Falsche zu tun. Das schmale Angebot an Möglichkeiten erleichtern dem Armen die Wahl: Zunächst einmal strebt er nach Nahrung, dann nach Obdach. So kann er mit Verachtung auf diejenigen blicken, die versteinert vor der Fülle ihrer Möglichkeiten stehen und weder ein noch aus wissen.

Der finanziell Vermögende steht vor zwei Problemen. Das eine Problem besteht darin, dass ihm die Fülle der Möglichkeiten die Entscheidungsfähigkeit raubt. Er weiss dann nicht mehr, was er tun soll. Das andere Problem besteht darin, dass er sich von seinem Vermögen unterjochen lässt. Vermögen kann versklaven. Vermögen ist in diesem Fall nichts mehr, was seine Möglichkeiten erweitert, sondern dasjenige, um dessentwillen er lebt. Eigentlich sind Menschen nicht für ihr Vermögen da, sondern das Vermögen für die Menschen.

Das bedeutet indes nicht, dass wir Vermögen gleich verausgaben müssten. Es soll nicht nur für den Augenblick, sondern auch für die Zukunft da sein: Wir erwerben Vermögen, damit wir es künftig nutzen können. Man darf es sparen, um für künftig sich bietende Möglichkeiten gerüstet zu sein, egal, ob diese Möglichkeiten ein Hauskauf, eine Spende, eine Weltreise oder die Ausbildung der Kinder sein werden.

Einerseits ermöglicht ökonomischer Besitz Veränderung. Vermögen haben heisst, etwas verändern zu können in seinem Leben und im Leben anderer. Andererseits ermöglicht Besitz Sicherheit, die Erhaltung eines erreichten und für gut befundenen Zustandes. Finanzvermögen hat also die wundersame Eigenschaft, sowohl der Horizontfestigung als auch der Horizonterweiterung zu dienen – sowohl der Veränderung als auch der Bewahrung, sowohl der Möglichkeitserschliessung als auch der Möglichkeitserhaltung. Entscheidend ist, dass jeder anstatt selbst dem Geld zu dienen, sich das Geld dienstbar macht. Wer Möglichkeitsspielräume haben möchte, ist gut beraten, sich ein kleines Vermögen anzuhäufen.

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