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Eine komplexe Gesellschaft braucht Geld: von der zentralisierten Redistribution zum ersten Münzgeld im 1. Jahrtausend v. Chr.

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Hallo. Mein Name ist Ursula Kampmann, und ich bin Numismatikerin. Heute möchte ich Ihnen von der Erfindung des Geldes erzählen.

 

Ich habe ihnen ein kleines Zeugnis aus dieser aufregenden Zeit mitgebracht. Es ist ein unauffälliges Tontäfelchen. Darauf steht eigentlich nichts Besonderes. Keine große Literatur oder so. Es ist eine Liste mit Menschen die für ihre Arbeit Getreide erhalten, eine Art Lohnliste. Doch das Getreide auf dieser Liste hatte mit dem, was wir als Geld kennen, noch nicht viel zu tun.

 

Wann braucht man eigentlich Geld? Sicher nicht, wenn man wie einst unsere Vorfahren als Jäger und Sammler durch die Wildnis zieht. Geld war auch dann noch nicht nötig, als im Neolithikum die ersten Bauern ansässig wurden. Über ein allgemein gültiges Tauschmittel dachten Menschen erst dann nach, als sie Güter an Menschen abgeben wollten, die sie nicht als ihre Familie betrachteten. Erst eine sozial komplexe Gesellschaft braucht Geld.

 

Das war irgendwann im 3. Jahrtausend vor Christus der Fall. In Ägypten und im Nahen Osten hatten sich Systeme herausgebildet, die Ökonomen als zentralisierte Redistribution bezeichnen. Wir könnten das folgendermaßen beschreiben: Du lieferst alles ab, was du erwirtschaftet hast, und ich schaue dann, wie viel ich dir wieder zurückgeben will. Was sich wie der Wunschtraum einer modernen Regierung anhört, basierte im 3. Jahrtausend auf der Überzeugung, dass ein Überleben der Gemeinschaft nur mit Hilfe der Götter möglich sei. Zu groß waren die Gefahren, die drohten: Naturkatastrophen, feindliche Überfälle. Ohne den Schutz der Götter fühlte der Mensch sich hilflos. Für den direkten Draht nach oben bürgte ein mächtiger Priesterkönig wie der Pharao in Ägypten oder der sumerische Lugal. Er hatte das Schicksal der Gemeinschaft in der Hand. Und deshalb stand ihm aller Reichtum zu, den diese Gemeinschaft erwirtschaftete. Seiner Gnade war es anheimgestellt, der Bevölkerung so viel zurückzugeben, wie sie für ihr Überleben brauchte.

 

Aus dieser Zeit stammt unsere Lohnliste. Hier steht zum Beispiel, dass ein Bootsschlepper für sich und seine Familie rund 1.500 Liter Mehl erhalten sollte. Für die gerechte Verteilung war kein Geld notwendig, nur ein einheitliches Gewicht, so dass alle das ihnen Zustehende erhielten. Und dabei hätte es bleiben können, wären Menschen keine Menschen, und würden sie nicht hin und wieder etwas tun, was die Obrigkeit eigentlich verboten hat. Da diese Obrigkeit sakrosankt war, galt jeder Verstoß gegen ihr Gesetz als Sünde, die gesühnt werden musste, um die Götter zu versöhnen. Bei schweren Verbrechen büßte man mit dem Leben. Ein kleines Vergehen machte man mit einem festgelegten Gewicht an Silber wieder gut.

 

Das Nachdenken über die göttliche Weltordnung veranlasste die damalige Obrigkeit, auch andere Dinge gesetzlich zu regeln. Sie legte fest, wie viel Zins auf Geliehenes zu zahlen war und in welchem Verhältnis das Silber zu anderen Produkten berechnet wurde. Getreide spielte im damaligen Wirtschaftsleben eine entscheidende Rolle genauso wie Öl und Wolle. So spiegeln die ersten schriftlich festgehaltenen Strafgesetze der Menschheit eine Welt, in der es bereits ein Wirtschaftsleben gab, in der abgewogenes Silber als Geld benutzt wurde.

 

Auch in Ägypten gab es ein reges Wirtschaftsleben, das allerdings nicht auf Silber beruhte, sondern auf Gold und Kupfer. Im British Museum wird ein Dokument aufbewahrt, das wunderbar illustriert, wie in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends ein Kauf ganz praktisch aussah. Darin ist überliefert, dass ein Wächter namens Amunmes von einem Arbeiter namens Penamun einen Ochsen für 50 Deben Kupfer kaufte. Von den 50 Deben zahlte er nur 5 tatsächlich in Kupfer. Den Rest erhielt der Verkäufer in Fett im Wert von 30 Deben Kupfer, in Öl im Wert von 5 Deben Kupfer und in Stoff im Wert von 10 Deben Kupfer.

 

Damit gab es also sowohl in Ägypten als auch in Mesopotamien ein System von Geld, das an Gewichte gebunden war, die eine Obrigkeit kontrollierte. Vor allem der sumerische Shekel und die dazugehörige Mine verbreiteten sich im gesamten Mittelmeerraum. Die Griechen kannten sie seit dem frühen ersten Jahrtausend vor Christus. Griechische Händler benutzten Edelmetall gern als Tauschmittel, weil es haltbar und leicht transportabel war. Das einzige Problem stellte die Versorgung dar, und hier kommen die Lyder ins Spiel.

 

Die Lyder waren ein Volk, das ursprünglich aus der inneren Türkei kam. Ihr Zentrum war die Stadt Sardeis im Landesinneren, Luftlinie rund 100 Kilometer von Ephesos entfernt. Nahe von Sardeis fließt der Paktolos, in dem es reiche Goldvorräte gab. Ob es die Lyder waren oder die Griechen, die auf die Idee mit den Münzen kamen, wir wissen es nicht. Jedenfalls wurden in Ephesos unter dem Fundament des Tempels der Artemis Objekte gefunden, die die Vorfahren sind von dem, was wir heute als Münzen kennen.

 

Es handelt sich um kleine Klümpchen aus Elektron. Elektron ist eine Mischung aus Gold und Silber, die bereits für diese ersten Stücke künstlich hergestellt wurde, damit alle einen einheitlichen Goldgehalt aufwiesen. Die gleiche Einheitlichkeit beobachten wir bei den Gewichten. Es gab bereits zu Beginn der Prägung – und der dürfte irgendwann in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts gelegen haben – drei verschiedene Gewichtsstandards, die sich klar voneinander unterscheiden lassen. Grundlage war der Stater, der je nach Gewichtsstandard zwischen 12,5 und 17,2 Gramm variierte. Er wurde bis zu einem 96stel geteilt. Wir sprechen hier von Münzchen mit einem Gewicht von etwa 0,1 Gramm!

 

Die Bilder, die man für diese Münzen wählte, waren vielfältig. Sie zeigten geometrische Muster und vor allem Tiere, darunter besonders gerne den Löwen, der uns wieder auf Lydien zurückverweist, denn der Löwe war das Wappentier der lydischen Könige.

 

Ob es eine Obrigkeit war, die diese frühesten Münzen prägen ließ? Wir wissen es nicht. Es könnten genauso gut Kaufleute gewesen sein oder Priester. Wir wissen auch nicht, warum die ersten Münzen entstanden. Dienten sie als Tauschmittel? Bezahlten die Lyder damit die Söldner, mit denen sie die türkische Westküste eroberten? Oder waren die Stücke als Opfer an die Götter gedacht? Schließlich wurde der größte Schatz an solchen Münzen im Tempel der Artemis von Ephesos gefunden!

 

Es gibt mehr Fragen um diese frühen Münzen als Antworten. Aber zur Zeit forschen die besten Numismatiker der ganzen Welt daran, mehr herauszufinden.

Wie auch immer, eines steht fest: Während es mehr als anderthalb Jahrtausende brauchte, um den Weg von unserem Tontäfelchen bis zur ersten Münze zurückzulegen, dauerte es nur knapp ein Jahrhundert, bis sich die Münze im gesamten Mittelmeerraum als Tauschmittel eingebürgert hatte. Aber davon erzähle ich Ihnen ein anderes Mal.

 

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