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Franz Kafka, Meistererzählungen

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Das Urteil / Die Verwandlung / In der Strafkolonie / Erinnerung an die Kaldabahn / Der Dorfschullehrer (Der Riesenmaulwurf) / Ein Landarzt / Beim Bau der Chinesischen Mauer / Das Stadtwappen / Die Abweisung / Ein Hungerkünstler / Der Bau.

 

Publiziert von Manesse, Bibliothek der Weltliteratur, 1978

 

"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt." So beginnt Franz Kafkas weltberühmte Erzählung "Die Verwandlung" (1915) über einen jungen Mann, der anscheinend grundlos von einem Tag auf den anderen zu einem riesigen Insekt geworden ist und fortan von seiner Familie gemieden wird. Die Erzählung ist seit ihrem Erscheinen immer wieder aufs Neue künstlerisch in Illustrationen, Comics, sogar Spielfilmen verarbeitet worden. Gleichermaßen ist der Prager Schriftsteller Franz Kafka (1883-1924), der ewig junge Mann mit dem ernsten Blick, bis heute ein Faszinosum für die Literaturwissenschaft. Über kaum einen Autor ist dermaßen viel geforscht worden und bei kaum einem Autor gehen die Meinungen so stark auseinander wie bei Kafka.

 

Diese Tatsache scheint umso ironischer, wenn man bedenkt, dass der Großteil von Kafkas Werken gegen seinen Willen nach seinem Tod von seinem Freund Max Brod veröffentlicht wurde. Während jedoch seine Romanfragmente "Das Schloss", "Der Prozess" und "Der Verschollene" weltweiten Bekanntheitsstatus erlangten, gibt es auch eine Vielzahl von kürzeren Erzählungen, die weniger Aufmerksamkeit erfahren haben, aber ebenso faszinierend und enigmatisch wirken. Einige davon sind in dem Band "Meistererzählungen" enthalten.

 

Ein einsamer Stationswächter in Russland, der in seiner Eisenbahnstation sein Leben fristet, zwei Männer, die beide vergeblich die Existenz eines Riesenmaulwurfs bezeugen, ein Landarzt, der des Nachts zu einem sterbenden Jungen gerufen wird, ein Forschungsreisender, der in einer Strafkolonie einem ungewöhnlichen Folter- und Exekutionsapparat begegnet – die  Geschichten Kafkas sind keine leichte Kost. Meistens berichtet ein Ich-Erzähler präzise und sachlich von seiner misslichen Lage, die entweder zu einem tragischen, oder zu gar keinem Ende führt. Dabei scheinen die Erzählungen gleichzeitig wie Traumszenarien oder wie Fabeln mit einem tieferen Sinn, der jedoch nie wirklich greifbar wird. Wie auch in den Fragmenten "Der Prozess" und "Das Schloss" scheint es oft irgendeine höhere Ordnung zu geben, die für die Hauptfiguren aber nicht erkenntlich ist. 

 

Ging es Kafka nun wirklich – wie so oft behauptet wird – um die Verworrenheit der Bürokratie des Staates? Um das Judentum, die Psychoanalyse oder doch um zeitgeschichtliche Zusammenhänge? Vermutlich wird man auf diese Frage nie eine klare Antwort finden. Was jedoch feststeht ist: Von Kafkas Texten geht eine nicht endende Faszination aus. Seine ikonische Erzählung "Das Urteil" hat Kafka beispielsweise in nur acht Stunden in der Nacht vom 22. zum 23. September 1912 verfasst. Sie gab den Anstoß zu einer großen Kreativphase, aus der viele Texte im Band "Meistererzählungen" stammen.

Franz Kafkas Texte sind seltsam, verstörend, verwirrend, aber auch – zumindest empfand Kafka selbst es so – auch zutiefst komisch. Immer wieder taucht in diesem Zusammenhang die Anekdote auf, nach der Kafka seinen Freunden Teile des Romans "Der Prozess" vorlas und dabei immer wieder laut lachen musste. Ob die "Meistererzählungen" den Leser nun in tiefe philosophische Krisen stürzen oder lediglich nur zu einem heiteren Schmunzeln anregen ist letztlich unerheblich; denn genau darin liegt die Schönheit von diesen Texten, die ebenso aktuell bleiben wie Kafkas Romanfragmente.

 

Christina Schlögl

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