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Kredit, eine Todsünde? Theologisch einwandfreie Geldgeschäfte von London bis Florenz dank Etablierung des Wechsels durch die Medici im 14. Jahrhundert

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Wer Zins nahm, war ein Wucherer. Und Wucher war eine Todsünde. Jeder Gläubige wusste, dass ein Wucherer in der tiefsten Hölle schmoren musste, mit einem prall gefüllten Geldsack um den Hals.

Ursula Kampmann erzählt, wie dieses Problem gelöst wurde. 

 

 

So was Dummes. Jetzt habe ich mein Girokonto überzogen. Ich habe wirklich nicht mehr an die Kreditkartenabrechnung gedacht. Na ja, das ist ärgerlich, aber letztendlich kein Problem.

Im Mittelalter hätte ich ein Problem gehabt. Kein gläubiger Christ hätte mir Geld gegen Zins geliehen, weil er Angst gehabt hätte, sein ewiges Leben aufs Spiel zu setzen.

Wer Zins nahm, war ein Wucherer. Und Wucher war eine Todsünde. Jeder Gläubige wusste, dass ein Wucherer in der tiefsten Hölle schmoren musste, mit einem prall gefüllten Geldsack um den Hals.

Nichtsdestotrotz brauchten Menschen schon im Mittelalter Kredit. Vor allem einem Kaufmann konnte es passieren, dass er eine große Zahlung im voraus leisten musste, und der Kunde sich Zeit ließ beim Begleichen der Rechnung. Kaufleute brauchten unbedingt Kredit.

Natürlich gab es schon damals Menschen, die gerade zu viel Geld hatten, und dieses gerne verliehen, solange sie dafür Zinsen bekamen und zwar ohne ihr Seelenheil zu verlieren. Sie fanden einen Weg, diesen Kredit zu geben, denn schon im Mittelalter waren Theologen und Juristen geschult, Schlupflöcher im Gesetz zu finden. Ihr berühmtestes Schlupfloch hieß Wechsel.

Wie so etwas praktisch aussah, das schildert uns Tim Parks in seinem Buch „Das Geld der Medici“.

Versetzen wir uns also ins Florenz des 14. Jahrhunderts. Nehmen wir an, ich bin ein international tätiger Kaufmann und brauche dringend 1.000 Fiorini. 1.000 Fiorini sind viel Geld. Dafür könnte man in Florenz einen kleinen Palazzo bauen. Oder 400 Ellen Damast kaufen.

Gehen wir also ins Viertel der Banken und Geldwechsler, nach Orsanmichele. Wir passieren die kleinen Geschäfte der Pfandleiher mit ihren Wimpeln aus rotem Tuch. Ja, hier gibt es Kredit gegen Pfand. Aber natürlich keinen so hohen. Hier arbeiten die, die wir heute als Kredithaie bezeichnen würden. Sie haben ihr Seelenheil verwirkt. Die Stadt erhebt deshalb auf ihren Gewinn keine Steuer. Florenz will sich mit diesem sündhaften Gewerbe nicht beschmutzen. Deshalb nennen die Politiker die Steuer der Pfandleiher Strafe. Sie beträgt 2.000 Fiorini und wird jährlich gezahlt.

Nach den Pfandleihern kommen wir zu Tischen, die mit grünem Tuch bedeckt sind. Ganze Haufen von Münzen liegen darauf. Das sind die banche a minuto, die Lokalbanken. Hier kann man Geld wechseln, Schmuck kaufen und natürlich Geld anlegen. Letzteres selbstverständlich ohne Zinsen. Wir erwarten dafür vom Bankier einmal im Jahr ein Geschenk. Ein Geldgeschenk natürlich Wenn wir mit der Größe des Geschenks nicht zufrieden wären, würden wir unser Kapital abholen und es an anderer Stelle wieder anlegen.

Aber in der Liga, in der wir einen Kredit brauchen, spielen die Lokalbanken nicht. Dafür müssen wir weiter gehen. An die Ecke Via Porta Rossa und Via dell’Arte della Lana. Dort steht das Bankhaus der Medici. Natürlich bekommen wir dort keinen Kredit, aber wir können ein Wechselgeschäft machen.

Auch ein Medici will sein Seelenheil schließlich nicht gefährden. Deshalb hält er sich an die kirchlich erlaubten Wechselgeschäfte, bei denen trotzdem jeder das bekommt, was er braucht: Ich mein Geld, die Medici ordentliche Zinsen. Ich kaufe hier und jetzt 1.000 Fiorini zu 40 englischen Pence pro Fiorino, zahlbar in London. Das ist für die Medici ein gutes Geschäft. Ich stelle also einen Wechsel aus. Dafür schreibe ich auf ein Papier eine Botschaft an meinen Londoner Geschäftspartner:

Im Jahre des Herrn 1417, am 15. Juni, in Florenz, 1.000 Fiorini. Zahle, wie es üblich ist, 1.000 fiorini zum Kurs von 40 Pence pro fiorino an den von Giovanni de‘ Medici und seinen Partnern ernannten Stellvertreter in London. Möge Christus euch beschützen.

Ich bekomme die 1.000 Fiorini, die Medici den Wechsel. Sie schicken ihn mit einem Boten nach London. Dort überreicht der Londoner Geschäftspartner der Medici den Wechsel meinem Geschäftspartner und der zahlt nach genau 90 Tagen die Summe aus, in Pfund und Pence.

Am 13. September erhalten die Medici in London also 40.000 Pence. Für diese Summe sucht ihr Agent nun vor Ort einen Kunden, der das umgekehrte Geschäft machen will. Der Pfund leihen und dafür Fiorini zurückgeben will. Er wird sicher einen finden. Und hier liegt der Gewinn, denn in London kostet das Pfund weniger Fiorini als in Florenz.

Unser Londoner Händler wird einen Wechsel ausstellen, in dem er 40.000 Pence in Fiorini wechselt zu 36 Fiorini das Pfund. Die Medici erhalten also nach 180 Tagen für ihre 1.000 Fiorini 1.111 Fiorini und haben so in einem halben Jahr rund 11 % Gewinn gemacht.

Der Witz dabei war, dass es Kursschwankungen gab. Man konnte theoretisch auch Verlust machen. Wie hoch das Risiko war? Nun wir haben die komplette Dokumentation für 67 Wechselgeschäfte der Medici. Sie mussten keinen einzigen Verlust verbuchen.

Nichtsdestotrotz akzeptierten die Theologen dieses Geschäft wegen des theoretischen Risikos nicht als Darlehen mit Zins, sondern als Wechselgeschäft zwischen den Währungen. Und Wechselgeschäfte waren theologisch einwandfrei.

Ach, und wenn wir schon bei der Kirche sind. Sie wissen natürlich, warum die Medici so reich wurden?

Sie verwalteten das Vermögen der Päpste und vermehrten es zu deren Zufriedenheit, vor allem mit Wechselgeschäften.

Ärgern Sie sich also nicht über die hohen Zinsen, die Ihr Überziehungskredit auf dem Giro-Konto kostet. Wenigstens riskiert damit niemand sein Seelenheil. Selbst die katholische Kirche hat das Zinsverbot im Laufe des 17. Jahrhunderts aufgehoben.

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