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Boetius, Einführung in die Zahlenlehre und in die Musik

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Publiziert 1546 von Heinrich Petrus (Basel)

 

 

Ob man ihn nun als den „letzten Römer“ oder als den „ersten Scholastiker“ bezeichnet, ist gleichgültig, der Einfluss, den Boetius auf die Gelehrten des Mittelalters hatte, kann jedenfalls kaum überschätzt werden. Seine lateinischen Schriften stellten für sie die Brücke zur Gedankenwelt eines Platon und eines Aristoteles dar. Sie kannten die Werke dieser Gelehrten nicht im Original, sondern ausschließlich aus den Übersetzungen, Kommentaren und Zusammenfassungen, die Boetius ihnen hinterlassen hatte.

 

Boetius stammte aus der alten und einflussreichen römischen Familie der Anicii. Sein Großvater war Prätorianerpräfekt gewesen, sein Vater Prätorianerpräfekt und Stadtpräfekt von Rom. Boethius selbst sollte unter Theoderich zum magister officiorum aufsteigen, und damit an der Spitze der gesamten Verwaltung des römischen Reichsteils stehen. Doch als Politiker ist Boethius kaum in Erinnerung geblieben. In einer Welt, in der die Bildung immer mehr in Vergessenheit geriet, weil kaum einer mehr das Griechische beherrschte, beschloss er, die für ihn wichtigsten Werke der Vergangenheit ins Lateinische zu übersetzen. Er plante, eine Art verbindlichen Bildungskanon festzulegen, den ein römischer Staatsbeamter beherrschen sollte.

 

Angesichts der militärischen Entwicklungen im Westreich musste Boetius scheitern. Die Wirren der Völkerwanderung verhinderten, dass sich Machtmenschen für Bildung interessierten. Doch seine Bücher blieben erhalten und spätestens die Gelehrten der Karolingerzeit lasen sie und lernten aus ihnen. Seine Werke wurden die wichtigsten Schulbücher, an denen die Mönche ihr Latein schulten, und das Wissen der Antike übernahmen.

 

Zwei dieser Schulbücher haben wir hier vor uns. Sie behandeln die Arithmetik und die Musik. Damit gehörten sie zu dem so genannten Quadrivium, zu den vier Disziplinen die die Grundlage der mittelalterlichen Ausbildung darstellte. Boethius hatte auch noch zu den anderen beiden Fächern, zur Geometrie und der Astronomie, ausführliche Werke verfasst. Sie sind verloren gegangen.

 

Aber wenn wir heute in einer der prunkvollen Kathedralen des Mittelalters die wichtigsten Zahlenverhältnisse wiederfinden, in denen sich die Musik ausdrücken lässt, dann trägt Boethius die Verantwortung dafür, der in seinen Büchern weniger Faktenwissen vermittelte, sondern vielmehr eine Zahlenphilosophie, die jeder Zahl, jedem Verhältnis eine Eigenschaft und eine eigene Qualität zuwies.

 

Boethius galt im Mittelalter als Heiliger. Dies musste er im 19. Jahrhundert büßen, als die Kirche in der westlichen Welt ins politische Abseits geriet. Sein großer Ruhm verblasste. Seinen Werken wurde jede Originalität abgesprochen. Aber ohne Boethius wäre die Antike nicht ins Mittelalter gerettet worden und hätte in der Renaissance nicht wiederentdeckt werden können.

 

Boethius Werk ist tatsächlich die entscheidende Brücke, die das Wissen des untergehenden römischen Reichs wissbegierigen Nachfolgern überlieferte. Dagegen scheint alles, was er als Politiker unternahm, zeitgebunden und unwichtig.

 

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